Dienstag, 27. März 2012

Nie wieder Kommunismus?


Buchrezension

Im Zusammenhang mit der Extremismusdebatte erschien im Unrast Verlag der Sammelband "Nie wieder Kommunismus," in dem etliche Autoren und Autorinnen sich zum Thema äußern. Warum müssen wir uns damit befassen? Wenn nicht wir, dann überlassen wir das Thema der den Schreibern, die sich vorwiegend damit beschäftigen, um nachzuweisen, das der Kommunismus ein Irrweg war und die Verlierer dieses Systems gefälligst besser den Mund halten und Lohndumping, Hartz 4, Börsengezocke und explodierende Profite klaglos hinnehmen sollten, weil am Ende der Auflehnung nur der Gulag stehen kann. Dies ist genauso Ideologie wie sich gezeigt hat und die Realität der letzten Jahre hat solche Auffassungen mehr als relativiert.

Das Buch richtet sich an die Linke (womit nicht die Partei gemeint ist, sicher aber auch breite Teile deren Mitglieder), an wen sonst? Schließlich ist es nach wie vor die Linke, die nach Alternativen und Lösungen sucht, jedenfalls die Linke, die nicht auf alle Fragen bereits die Antwort kennt und die meint linke Geschichte nur gegen antikommunistische Hetze verteidigen zu müssen. Die Absicht ist jedenfalls klar, wer nach Lösungen sucht muß sich der linken Geschichte stellen und da es macht weder Sinn, sie abzustreiten oder sich selbst als integer und unbeteiligt darzustellen denn eine Linke die nicht zu ihrer ganzen Geschichte steht und sich weigert Verantwortung zu übernehmen kann nicht glaubhaft für eine bessere Welt stehen, denn gute Absichten allein reichen nicht. Der ganze Ostblock war schließlich auf gut gemeinten Absichten aufgebaut.

Wem möchte man dieses Buch empfehlen? Oder zumindest, sich mit dieser Frage zu befassen? Na da fallen mir spontan einige Zeitgenossen ein. An erster Stelle stehen selbstverständlich die fanatischen Mattbirnen von der letzten LL Demo, denen das Spruchband "Nein, Nein, das ist nicht der Kommunismus" bereits zuviel an Meinungsfreiheit war.
Man könnte es auch den Teilnehmern dieser Demo empfehlen, die notorisch ihren Müll am kleinen unauffälligen Gedenkstein für die Opfer des Stalinismus abladen und auf diese Weise ihre Lernunwilligkeit demonstrieren.
Sollte man es den verbliebenen Parteisekten zu Weihnachten schenken? Nötig hätten sie es, dummerweise haben sie sich bereits zu lange hinter ihren Dogmen verschanzt und betrachten Geschichtskritik bereits als persönlichen Angriff.
Man könnte es auch vielen Indyusern empfehlen, deren Geschichtswissen sich in einer Streichholzschachtel unterbringen ließe, aber ohne vorher die Streichhölzer zu entfernen. (Kleines Anhalterzitat;-))) )

In der Einleitung wird die Textsammlung bereits zusammenfassend vorgestellt und der Hintergrund dieses Buchprojekts. Die Einleitung ist pc gegendert- ein Tribut an den linken Zeitgeist, der mir zwar nicht behagt, na gut, das ist nur meine persönliche Meinung. Sonst sind die Texte mit Fußnoten versehen, die man freilich nicht anklicken kann :-)) ist eben ein Buch und kein Wikieintrag. Böswillige könnten anmerken, hier werden Klassikerzitate aus dem Zusammenhang gerissen um dies und jenes zu belegen, klar kann man mit Leninzitaten vieles belegen und Gegenbelege finden, hat halt viel Text hinterlassen.

Es geht um den Extremismusbegriff, der undifferenziert den Kommunismus unter extreme Politik einordnet und all seine Absichten entwertet. Soll heißen, linksextrem und rechtsextrem und dazwischen die Demokratie und freie Marktwirtschaft, also die beste aller möglichen Walten. Schlicht und ergreifend Ideologie, die durch den Zusammenbruch des Kommunismus scheinbar legitimiert wurde. Wie sich in der letzten Zeit durch Krise, Hartz 4 und Rückkehr bereits überwunden geglaubter Ausbeutungsformen gezeigt hat, der Kapitalismus als die beste alles möglichen Welten, erklärte sich etwas vorschnell zum Sieger der Geschichte. Doch wo ist die Alternative? Wer nach Alternativen sucht, kommt nicht daran vorbei, sich wieder einmal mit der Geschichte des Kommunismus zu befassen und die Leser erfahren hier sicher Bekanntes, für manche dürfte es auch weniger bekannt sein, je nachdem wie viel Vorwissen man bereits Zum Thema mitbringt.
Zum Begriff des real existierenden Sozialismus (wie sich die DDR selbst bezeichnete) lesen wir dafür Bemerkenswertes. Es handelt sich um eine eigentlich lachhafte Verdopplung, denn was existiert ist ja wohl real. Darauf muß man erstmal kommen, bei einen so gängigen Begriff, das man schon nicht mehr drüber nachdenkt. Schon dafür haben sich die ersten Seiten gelohnt. Daher wird hier der passendere Begriff Realsozialismus verwendet,
Es geht freilich nicht nur um die Abhandlung der tatsächlich verlaufenden Geschichte, auch die theoretische Basis wird auf Grundirrtümer untersucht, ein Grundfehler war es zweifelsohne, linke Theorie als quasi religiöse Schrift zu behandeln und damit jede kritische Auseinandersetzung als Blasphemie zu behandeln. Soll heißen, Kommunismus wäre als Aufgabe zu verstehen, an der gearbeitet werden muß und nicht als abgeschlossene Gebrauchsanweisung die nur noch von einer Partei umzusetzen wäre. Auch ein Grund, warum linke Theorie zur linken Theologie versteinerte.

Nun zu den einzelnen Texten.
Christian Schmidt
Die Politik des Kommunismus

Unter anderm geht es um Wissenschaft und Ideologie bei Marx, und die Frage, wann schlägt kritische Wissenschaft in Ideologie um und hier lesen wir: "Sie denunziert die Urteile, die jeden Handlungsvollzug begleiten als notwendig falsches Denken. Wird sie aber zur Weltanschauung, dann schlägt diese Distanzierung von den kritisierten gesellschaftlichen Praktiken in die ..... als a-politisch gekennzeichnete Propaganda für eine Parteilinie und einen bürokratischen Herrschaftsapparat um."
Kommt uns doch vertraut vor, wenn Bewegungen oder Initiativen die nicht den Hauptwiderspruch zum Thema haben oder zumindest von der Partei kontrolliert werden, stets mit Mißtrauen betrachtet wurden oder gleich als kleinbürgerlicher Unfug Diffamiert wurden.
Doch selbst da wo es um den Hauptwiderspruch ging, der ja im Realsozialismus vorgeblich nicht mehr existiert. Als die Bauarbeiter in der DDR streikten blieb der Partei nur der Ausweg, dies als Konterrevolution zu diffamieren. Wenn Bauarbeiter gegen ihre eigene Partei streiken, dann ist dies falsches Denken, denn Normerhöhungen durch die Partei kann man doch nicht mit kapitalistischer Lohnsenkung vergleichen. ;-))
Bei Marx war die anarchistische kapitalistische Produktionsweise zurecht eine Riesenverschwendung von Material und Arbeitskraft. Eben, der Zwang billiger als die Konkurrenz zu sein führt nach wie vor zur Aufblähung von Werbeetat, Überproduktion, Vernichtung unverkaufte Ware, in den USA das verrotten leerstehender Häuser nach der Krise, oder bei Neuerungen dazu, das unausgereifte Produkte auf den Markt geschmissen werden, mit den Folgen soll sich der Verbraucher rumärgern (gutes Beispiel die Windowabstürze, weil sich Gates ein Quasimonopol verschaffte und die mühsame Nachtschicht um wenigstens ansatzweise diese Scheißtechnik in den Griff zu bekommen, ältere User werden sich schmerzvoll erinnern) und allem was uns so vertraut ist, wie Billigprodukte, mit Billiglöhnen für die Tonne produziert.Die Liste ließe sich noch lange fortführen.

Die Alternative, dies bürokratisch regeln zu wollen, führte zu einer Mangelwirtschaft an welcher der Realsozialismus letztlich scheiterte. Auch dafür gibt es Fälle aus der Praxis. Die Dachdecker bekommen 500 Dachpfannen geliefert. Wehe eine davon zerbricht, dann haben sie ein Problem, Ersatz gibt es nicht, jedenfalls nicht auf normalen Weg. Solche Storys bekam man früher am laufenden Band aus der DDR zu hören. Nicht ernst nehmen, war nur antikommunstische Propaganda.

Verwiesen wird u.a. auf Derridas Schrift, Marx Gespenster: "Wenn wir uns mit Derrida bewußt werden, das wir trauernde Erben des Kommunismus bzw. der Marxismus sind, dann sollte uns etwas klarer sein, was es zu betrauern gilt." Den Verlust des historische Optimismus, das historische Veränderungen möglich sind. Sollte man diesen betrauern? Oder wie kann man den Glauben wiedergewinnen das die Verhältnisse wie sie heute sind nicht endgültig und unangreifbar in Stein gehauen stehen? Nun ja, in letzter Zeit haben wir ja gesehen, wie schnell Machtverhältnisse gestürzt werden können, die aussahen, als wäre dagegen nie was auszurichten. Die Frage die sich aber stellt, was machen wir wenn dies geschafft ist, wie soll die Gesellschaft dann aussehen? Wie kann eine arbeitsteilig organisierte Industriegesellschaft verändert werden? Oder werden nur die Zeichen und Eliten ausgetauscht?
Bedauern muß man in dem Fall, das gebrochene Versprechen den Menschen aus der Unmündigkeit und Abhängigkeit herauszuführen. Der Partei ist dies nicht gelungen, sie schuf nur neue Abhängigkeiten und entmündigte ihre Zielgruppe.

Che Burasca
In der Sackgasse

Dieser Text"ist pc geschrieben, das BinnenI macht die Zeilen schwer lesbar, darüber muß man eben hinwegsehen (lesen). Sorry, ich kann mich eben nicht mit abfinden.
Die Herkunft des Autors aus antinationalen Zusammenhängen ist unschwer zu erkennen und das dieser der Sowjetgeschichte nicht viel Emanzipatorisches abgewinnen kann, versteht sich. Dummerweise sind Nationen, Nationalismus und Völker nach wie vor Realität an der man nicht vorbeikommt und die sich auch mit Losungen wie, es gibt keine Völker, nicht so einfach abschaffen lassen.
Der Nationalismus ist jedenfalls ein Thema das sich ebenfalls durch die Sowjetgeschichte zieht und das fing schon bei Lenin an. Rosa Luxemburg hielt das Selbstbestimmungsrecht der Nationen für reaktionär, in ihrem Fall besonders, kam sie doch schließlich aus der polnischen Sozialdemokratie. Die Arbeiterklasse soll nicht danach streben, neue bürgerliche Staaten und Regierungen aufzubauen, sondern danach, diese abzuschaffen, so Rosa Luxemburg. Lenin hatte dafür nur Spott und Hohn übrig. Lenin hielt das Selbstbestimmungsrecht der Nationen und der Völker für revolutionär und Stalin führte diese Politik konsequent fort. Bis hin zur Mobilisierung des Nationalismus im "Großen Vaterländischen Krieg." Einerseits propagierten Kommunisten die internationale Solidarität der Arbeiterklasse, sahen sich in der SU aber mit dem Erbe aus dem Zarenrussland konfrontiert, einen Vielvölkerstaat zusammenhalten zu müssen, dessen Ränder (Finnland) sich bereits davonmachten. Gelöst wurde diese Frage bis in die Gegenwart nicht und war dann auch ein Grund für den Zusammenbruch des Sowjetimperiums.
Kleiner Einschub. Die ungelöste Geschichte mit den Sowjetvölkern wurde bekanntlich bei der Besetzung durch die Wehrmacht unübersehbar, als viel der Minderheiten zu Kollaborateuren wurden und sich ausgerechnet von Nazideutschland die Befreiung versprachen. Die entsprechenden Bilddokumente mußten nicht inszeniert werden und den Stalinisten dürften sie heute noch peinlich sein.
Noch ein weiteres Leninzitat: "Die Leugnung des Rechts auf Selbstbestimmung oder Lostrennung bedeutet in der Praxis jedoch notwendigerweise Unterstützung der Privilegien der herrschenden Nation."
Wenn man sich aktuell über die russische Unterstützung des Irans mit seinen Atomprogramms oder Assads wundert, hier bei Lenin finden wir bereits die Vorlage. Der Iran hat das Recht selbstbestimmt die Bombe zu bauen und die Menschen zu unterdrücken, Assads Recht die Syrer umzubringen infrage zu stellen, heißt nur die Privilegien des Westens zu unterstützen. Die Rest SU mag sich von der kommunistischen Ideologie verabschiedet haben, Lenins außenpolitische Vorgaben sind selbst heute noch brauchbar.
Einige weniger bekannte Fakten erfährt man hier, etwa, die Behandlung von ausländischen Kommunisten, die Ausländer blieben. Sie hatten ihre Pässe abzugeben und für sie galt ein eigenes Ausländerrecht.
(Im Text heißt es AusländerInnenrecht, doch selbst heute gibt es noch keine AusländerInnenbehörde. Sollte man grad mal einführen, möglicherweise schiebt diese dann zwar schneller aber auch humaner ab. Ok, kleiner Scherz am Rande.)
Deutsche Kommunisten blieben Deutsche, was sich besonders in der Zeit des Hitler Stalin Pakts als fatal erwies, als viele von ihnen an Hitlerdeutschland ausgeliefert wurden. Juden wurden im Pass unter Punkt 5 als solche gekennzeichnet, wie auch andere Nationalitäten, was mit unterschiedlichen Zugangsberechtigungen etwa zum Studium verbunden war.
Ist es das was, man Ironie der Geschichte nennt? Die Politik der Überhöhung der Russen als Volk führte zu einen abweichendem Nationalismus bei den anderen Völkern, die sich herausgefordert fühlten ebenso ihren Beitrag zum Projekt zu leisten. Der Beitrag der Georgier bestand darin, das sie sich am renitentesten gegen die Entstalinisierung nach 1956 wehrten, immerhin hatten sie den größten Führer (vosźd) hervorgebracht.
Etwas lange her könnt man meinen. Von wegen, jedenfalls findet man hier die Erklärung, warum in Georgien heute noch vereinzelt Stalinstandbilder zu bewundern sind und es noch heute nicht wenige hardcore Stalinfans gibt. Verglichen damit ist die MLPD harmlos. Na fein, wieder was dazugelernt.
Man glaubt als Durchschnittslinker die Geschichte der SU zu kennen und notfalls klickt man bei Wiki rein. Es gibt immer noch Überraschungen. Woher die kommen? Linke in den 70ern haben Lenin und Stalin gelesen und glaubten danach alles Wichtige über die Sowjetunion zu wissen. Witzigerweise hätten sie nur ihren Alten fragen müssen, der war immerhin mal dort gewesen. ;-)))) Ok, das war jetzt gemein.

Diethard Behrens
Vom Scheitern eines Versuchs gesellschaftlicher Modernisierung

In diesem Text zum Stalinismus wird zumindest die Rechtschreibung beachtet, der Text kann also im Deutschunterricht verwendet werden. Es geht um den Stalinismus der in seinen Erscheinungsformen dargestellt wird, im Zusammenhang mit der Modernisierung der SU. Leider wird der Stalinismus nur unzureichend erläutert, es fehlen Erklärungen, wie dieses System funktionieren konnte, sich immer wieder erneuerte und wie es sich auf Stalin konzentrierte so das erst nach Stalins Tod Änderungen möglich wurden.
Die erzwungene Industriealisierung und die gewaltsame Umgestaltung auf dem Land, die zu Hunger und Misserfolgen führte zu Unmut, das ein Ventil benötigte und die Partei sorgte mit einen Klima von Paranoia und Jagd auf Saboteuren für Abhilfe.
Wie kam es innerhalb der Partei zu dieser Kultur von Paranoia und Säuberungen? Wie funktionierten sie?
Muß wohl selbst versuchen eine Erklärung zu liefern .
Dazu wären möglicherweise Vorbilder wie Iwan der Schreckliche hilfreich gewesen. Hier gab es bereits das System, verdiente Funktionsträger den Hals umzudrehen und jüngeren Aufstiegsmöglichkeiten zu bieten, wodurch sich das System erneuert und gerade wenn es die erwischt, von denen es niemand vermutet hätte, schafft man ein Klima aus Angst und Mißtrauen. Soll heißen, es kann jeden treffen und niemand kann sich sicher fühlen. Selbst größte Parteitreue schützt nicht vor einen unerwarteten Ende. Ein System das bereits bei Lenin anfing und von Stalin endgültig perfektioniert wurde. Sicher hat vieles in der französischen Revolution Vorbilder, Iwan der Schreckliche als populäre Figur der russischen Geschichte war innerhalb der Partei gut vertraut.
Die Übernahme der Politik stalinistischer Säuberungen in der DDR wird ansatzweise beschrieben, die Übernahme dieser Politik im übrigen Ostblock hätte man auch noch anfügen können. Na gut, irgendwann ist ein Text lang genug.
Über das Feindbild Kulak erfahren wir, das es ab 35 durch den Begriff Volksschädling ersetzt wurde, über mehrere Deportationswellen und es werden Zahlen genannt.
Dafür wird im weiteren Kapitel von Christoph Jünke mehr erläutert.

Rüdiger Mats
Mit "wissenschaftlichen Sozialismus" in den Staatsbankrott
Zu den bedeutenden Fragen denen man sich stellen muß, auch wenn man es nicht mehr hören will, gehört nun man das Versagen der Planwirtschaft. Denn genau dies war die Hauptursache, das das ganze Kartenhaus schließlich zusammenkrachte und Mats versucht hier eine Erklärung zu geben. Zunächst ausgehend von dem Widerspruch, der SU gelang es nicht nur den ersten Mensch ins All zu schicken, auch die Wasserstoffbombe (unabhängig was man davon hält) wurde nicht aus dem Sumpf ausgebuddelt. Einerseits schaffte man es also durchaus, mit dem kapitalistischen Westen gleichzuziehen, andererseits gelang es nie die Mangelwirtschaft und Rückständigkeit in weiten Bereichen zu beseitigen.
Die Planwirtschaft wird ausführlich abgehandelt, fairerweise wird auch auf die historisch desaströsen Startbedingungen eingegangen, die Zerstörungen von Weltkrieg und Bürgerkrieg und die nachfolgenden Verwüstungen des 2. Weltkrieges. Doch das ist keine Entschuldigung für die folgenden Jahrzehnte in denen die Grundprobleme auch nicht lösbar waren. Beschrieben wird die NÖP, mit der die Partei durch Wiederherstellung alter Produktions und Besitzverhältnisse die ökonomische Situation bessern wollte (mußte), bis dann wieder der ursprüngliche Plan fortgesetzt wurde. Ein interessanter Teil. Steht zwar nicht im Text aber hier finden wir die Vorgabe für die Veränderungen in China, das sich mittlerweile unumkehrbar vom Realsozialismus (zumindest ökonomisch) verabschiedet hat. Der Text liest sich etwas mühsam, hat Wirtschaft nun mal so an sich. Im Schlußtext versucht der Autor alternative Wege aufzuzeigen, die naturgemäß nur spekulativen Charakter haben können und von deren praktischer Ausführung wir derzeit weit weg scheinen.
Bemerkenswert ist folgende Erkenntnis. Der Realsozialismus hat gezeigt, welche Auswirkungen es hat, wenn Kommunisten, die doch eigentlich an das von Lenin prognostizierte Absterben des Staates glaubten, als Partei- und Staatslenker dauerhaft mit äußeren Feinden zu tun haben und im Inneren mit einer Bevölkerung der sie nicht vertrauen.
Genau hier haben wir den Grund warum im gesamten Ostblock die Machtübernahme in eine Parteidiktatur umschlug, alle fortschrittlichen Initiativen abgewürgt wurden und auch Reformen nur kurzfristige Wirkung hatten. Vom verfeuerten Idealismus den zahllose Gutwillige in dieses Projekt steckten fangen wir besser nicht an. Aktuell dürfen wir die bizarrste und finsterste Ausführung in Nordkorea bestaunen.

Christoph Jünke
Schädelstätte des Sozialismus
Stalinistischer Terror revisited

Dies ist fraglos der wichtigste Teil des Buches und etlichen im www rumtobenden Neustalinisten empfehle ich diesen zweimal zu lesen, damit auch was hängenbleibt. Der Titel ist unschwer erkennbar von den "killing fields" Kambodschas abgeleitet, doch es geht natürlich um die SU. Der Autor hat sich die Mühe gemacht, nicht nur den stalinistischen Terror zu skizzieren, auch der subjektive Faktor kommt zur Geltung. Namen werden genannt, viele davon vergessen, Schicksale werden sichtbar. Dies ist besonders deswegen zu bemerken, weil bei trockenen Klassikerzitaten die Einzelschicksale hinter wenigen Zeilen verschwinden. Es bleibt nicht bei der Darstellung, es wird versucht dieses Phänomen irgenwie zu erklären.
Zitiert wird u.a. Schlögel, klar, einer der Renegaten, was kann da schon kommen? Im Denken versteinerte Stalinisten werden sich auch davon nicht überzeugen lassen. Zitate von Trotzki dürfen auch nicht fehlen, womit der Beweis erbracht wäre und sich der Text grad in die Schublade stecken lässt. Wußten wir es doch, Trotzkist.
Sorry werte Genossen und linker ideologischer Restmüll, da machen wir es uns etwas zu einfach. Nicht jeder der den Stalinterror kritisiert ist deswegen zwangsläufig Trotzkist, zumal auch Trotzki alles andere als eine Heiligenfigur war.
Recht ausführlich wird beschrieben, wie der Terror funktionierte, wie versucht wurde Menschen zu brechen, aber auch, das es viele gab, die sich nicht brechen ließen. Die nicht die lachhaften Vorwürfe gestanden und etliche Formen zivilen Ungehorsams wie Hungerstreik. Nach Öffnung der Archive kam einiges zum Vorschein, was von der offiziellen Propaganda jahrzehntelang totgeschwiegen wurde.
Zur Vorbereitung des Terrors wurden bürokratisch Listen erstellt, der Aufwand stand dem der späteren Stasi offenbar in nichts nach.
Der Terror wurde nicht nur intern geführt, die Massen wurden mobilisiert und mußten auf Demos ihren Abscheu gegen die genannten Personen kundtun, natürlich machten sie gute Mine zum bösen Spiel und gleichzeitig konnte man so Angst erzeugen. Mit dieser landesweiten Propaganda wurden die Schauprozesse untermalt und so die Parteiführung ausgetauscht. Am Ende hatte die KPDSU nicht mehr viel mit der alten Partei zu tun, welche die Revolution durchgeführt hatte. Der Schaden der angerichtet wurde war größer als allein durch Opferzahlen zu beziffern. Es traf nicht nur verdiente und überzeugte Genossen, es traf Intellektuelle und der Enthauptungsschlag gegen die Armee war mit ein Grund für die Katastrophe von 1941.
Die Schauprozesse stellten nicht nur die Vernichtung jeder Opposition dar, sie waren auch ein Mittel der Schockstrategie, um alle zu disziplinieren, die den Erfahrungen der Schock Industrialisierung mit Unwillen und Widerstand begegneten, so ein Erklärungsversuch.
Ein weiterer Versuch dies einzuordnen wäre danach die Situation innerhalb der SU Wirtschaft, in der Bauern in die Städte gezwungen wurden, unausgebildet in die Fabrik kamen und natürlich klappte nichts so wie es sollte. Diese Umbrüche, Entwurzelungen und der stete Mangel förderten Unmut und Widerstand. Den galt es irgendwie zu brechen und am besten mit einen Apparat, der schon bei Lenin in der Tschecka angelegt war und der jede Macht bekam um Terror auszuüben.
Weiter heißt es, unter Stalin hatte sich eine Bürokraten und Karrieristenschicht breitgemacht, die Angst um ihre Vorrechte hatte und auf deren Interessen Stalin bauen konnte.
Oder war es einfach die Wahnidee vom "Neuen Menschen?" Wenn der alte Mensch nicht für die neue Gesellschaft taugt, dann muß der Mensch der zum System passt erst geschaffen werden und das kann nur die nächste Generation sein, die nichts mehr von der alten Welt weiß. Die Generation welche die alte Welt und den Umbruch noch miterlebt hat, ist verdächtig, man kann ihnen nicht restlos trauen, deswegen muß diese so gut es eben geht verschwinden. Und selbstverständlich alles Wissen aus deren Zeit muß beseitigt und von der Partei gefiltert werden. Orwell hat dies in 1984 beschrieben und seine Romanfigur arbeitet ja auch passenderweise im Wahrheitsministerium.
Die Zeit des Stalinterrors scheint aber auch wesentliche Züge der Irrationalität aufzuweisen, so wie spätere Neuauflagen, ob die proletarische Kulturrevolution oder Kambodscha. Das macht es schwer für solche Vorgänge rationale Erklärungsmuster zu finden. So sehr man auch sucht, es bleibt ein Rest von Unbegreiflichem zurück.
Im Ausland fand die große Säuberung entsprechend Beachtung auch unter linken Intelektuellen und Kommunisten. Trotzki versuchte aus dem Exil die Russische Revolution vor Stalin in Schutz zu nehmen, andere Linke meinten, Stalin und die GPU habe nichts mehr mit Sozialismus zu tun. Nicht wenige dagegen verbogen ihre Gehirngänge und versuchten es irgenwie zu legitimieren, schon angesichts der Machtverhältnisse, sahen sie die SU als letzes Gegengewicht zum aufkommenden Faschismus.
"Es gab und gibt der Apologeten des Stalinismus viele: dass an den Anklagen gegen die alten Bolschewiki wirklich etwas dran gewesen sei; das die Umwandlung vom Agrarland in ein Industrieland eben mit solchen Kollateralschäden verbunden sei; dass man all das tun musste, weil man sich gegen den deutschen Faschismus rüsten musste und so weiter und so fort."
Was sich durch diese Apologien zieht, ist der Glaube, das es im Sinne der guten Sache wohl notwendig war und das die zukünftige bessere Gesellschaft auch solche Opfer rechtfertige.
Die meisten trösteten sich mit mit einen kommunistischen Glauben über diesen Irrsinn hinweg, der deutlich religiöse Züge aufwies genährt von Propaganda und Personenkult.
Finden wir auch bei Orwell. Zwei und Zwei ist Vier. Und wenn die Partei sagt es sind Fünf? Verstehst du nicht? Aber wer hat recht? Willst du klüger sein als die Partei? Wir verstehen nicht was in Moskau vorgeht, na dann sollten wir der Partei vertrauen, die werden es doch besser wissen. Hier finden wir eine der Ursachen, warum eine politische Theorie zur Theologie versteinerte und der Kommunismus zu einer säkularen Ersatzreligion werden konnte.
Eine abgeschlossene Geschichte ist das noch nicht, denn wie sich dank www bewundern lässt, es gibt nach wie vor Irrläufer, die den Geschichtsmüll der Vergangenheit auf ihren Webspace der Netzgemeinde frisch und unverbraucht präsentieren.

Siehe
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