Netto aktiv
Das Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft betreibt in Heddernheim eine Einrichtung zu der Netto Aktiv gehört. Im Gewerbegebiet ein Gebäudekomplex, die Müllverbrennungsanlage als Fensteraussicht, passt doch, dafür verkehrsgünsig an der U Bahn. Dies war nun für sechs Wochen mein "Arbeitsplatz."
Was ich da sollte? Die Arge hatte mich hingeschickt und so liefs. Der erste Tag war etwas chaotisch, klar s gibt erst mal viel zu regeln und zu erklären und zudem bestand der Tag zumeist aus Warten. Na gut, soll vorkommen. Immerhin gab es Fahrgeld für eine Wochenkarte und eine Monatskarte, freilich nur zum ermäßigten Tarif. Das hieß, man besorgt sich zweckmäßigerweise den Frankfurtpass, sonst hätte man draufgezahlt. Gut, das klappt ja noch. Immerhin bist damit mobil, was sich auch für andere Zwecke nutzen lässt.
Zu den Regeln die uns erläutert wurden, na das steht auch schon in der sogenannten Eingliederungsvereinbarung. Was zu beachten ist um keine Sperre zu kassieren, bei Krankmeldung etwa und das es 6 Wochen geht die sich bei Fehlzeiten entsprechend verlängern.
Zu den Bedingungen, 8.15 sollte es losgehen und 16.00 ist Feierabend. Dazwischen natürlich 2 Pausen, die sich nur begrenzt nutzen ließen. Keine Ecke wo man irgendwo hingehen konnte, außer in den Imbiss für n Kaffee. Den gibt es drinnen billiger am Automaten. Zum Glück gibt es Lidl in Fußweite, das reicht immerhin für etwas Versorgung. Sonst hätte ich mir was mitbringen müssen, fürs Mittagessen ist der Imbiss zu teuer. Ich will nicht sagen sagen, der wäre zu teuer, aber für Hartz IVer schon.
Zu den Pausen wäre noch zu sagen, draußen war es zwar nicht gerade einladend, besonders wenn es kalt ist (im tiefsten Winter wäre das ohnehin eine Herausforderung geworden, dafür war die Kältewelle zum Glück vorbei), doch für Raucher immer noch brauchbar. Im Haus ist ja wie üblich Rauchverbot. Mit Kaffeebecher und Kippe ists dafür erträglich.
Wie läuft es dann drinnen ab? Nun irgendwie muß man die Zeit ja rumkriegen. Es gibt also seitens der Betreiber Vorträge, die man sich mit mehr oder weniger Interesse anhört, dies zu diversen Themen die für Arbeitslose oder wie es heißt für Arbeitssuchende relevant sein sollten. Der Rest des Tages sollte für Internet Stellensuche genutzt werden. Surfen auf Staatskosten? Fein, nur waren die Rechner oft nervig langsam. Wenigstens hat man hier doch einige Zugriffsrechte und mit USB Stick lässt sich gut arbeiten, wenn man seine eigenen Programme anwenden kann. Dazu wäre noch einiges zu sagen.
Jeder bekam einen Ordner, wo man sein Material sammeln sollte und 10 Bewerbungen nachweisen sollte. Sollt ja nicht so schwer sein, sollte man mal meinen. Dazu noch später. Zudem gab es für jeden Teilnehmer einen USB Stick mit 1 GB. Großzügig bemessen, nich? Erfahrene Stickuser geben sich heute ja nicht mit weniger als 8 GB ab, daher benutzte ich zumeist meinen eigenen Stick. Für allgemeinen Gebrauch sollte 1 GB ja auch reichen, wenn man weiß wie und genau da gabs doch ein Problem.
Zumeist waren wir an die 20 Leute und nicht nur völlig unterschiedlich, sondern auch mit unterschiedlichen PC Stand. Das geht vom erfahrenen User oder sogar Spezialisten auf ihrem Gebiet bis zu Leuten die offenbar da standen, wo ich 01 war, als ich meine ersten tapsigen Gehversuche mit der Kiste machte. Man wird am Rechner ja etwas betriebsblind, weil der eigene Gebrauch mit den Jahren selbstverständlich geworden ist. Daher ist es schon bemerkenswert zu sehen, es gibt auch im Jahre 12 Leute, die keine Mailaddi haben oder die echt Probleme haben, im Netz nach Stellen zu suchen bzw. Bewerbungen zu schreiben, dazu kommen bei einigen noch mangelnde Sprachkenntnisse. Dafür sollten ja die Betreuer da sein. Die können sich ja auf die konzentrieren die Hilfe brauchen, passiert aber auch nicht immer. Nun dafür sind wir ja da. Ist ja gar nicht unser Job, aber wenn man helfen kann. Wenigstens eine Aufgabe, man hat ja viel Zeit.
Genau das ist s auch was einige sagen, da packt die Arge alles zusammen, statt denen die spezielle Hilfen bräuchten, genau da zu helfen. Soll heißen, Arbeitslose mit spezifischen Problemen sitzen mit Arbeitslosen zusammen, deren einzies Problem darin besteht, das sie zu alt sind, es ohnehin keine Angebote gibt oder die nicht genommen werden, weil sie überqualifiziert sind. Na was solls, s Arbeitsamt weiß eben nicht wohin mit dem Geld, nur als "Kunde" mußt dich um jeden Cent prügeln. Nun das kennt man ja.
Da mach ich dann Sachen, von denen ich vorher nicht gedacht hätte, das ich sowas tun müßte. Eine Kollegin (irgendwie sehen wir uns hier ja als Kollegen) will ihre Daten von der CD auf den Stick laden. Kein Plan wie, nun ja, das erledige ich in 10 Sekunden. Da war sie echt beeindruckt, wäre ich vor 10 Jahren auch gewesen. Oder ein anderer Fall, da haben wir einer Frau eine Mail eingerichtet, nun gabs eine Antwort. Zwar nur eine Bestätigungsmail, doch wie öffnet man die? Dafür brauch ich keine Minute plus Ausdruck, dabei war ich noch nie auf der Seite von Hotmail. Ein weiterer Punkt, da benötigt eine Arbeitssuchende ein Bewerbungsfoto. Das sollte mal die Aufgabe des Maßnahmenträgers sein, gibts hier aber nicht. No Problem, Flachdiggi hab ich eh immer dabei, muß nur das Kabel mitbringen. Machen halt Bildchen und eine kleine Koproduktion, Foto laden und in den Lebenslauf einbauen. Zumindest Microsoft Office steht zur Verfügung.
Und drucken kann man, die Drucker sind auch gut am laufen. Was n Papierverbrauch, ok, die Bewerbungsnachweise möchten viele doch sicherheitshalber auf Papier haben. Freilich nur in S/W, dafür hört man Geschichten von anderen Einrichtungen, da gabs es sogar Farbdrucker. Die haben geraucht, da haben die Leut ihre Privatfotos ausgedruckt und sonstwas. Tia, solche Gelegenheiten nutzt man eben wenns nix kostet.
Sonst bin ich natürlich auch dabei nach Stellen zu suchen, so wie ich das sonst im Internetcafe mache, nur dauert es hier etwas länger. Das Hauptproblem ist, es gibt zumeist nur Scheiße und natürlich fast nur Zeitarbeit. Dazwischen auch Angebote die interessant wären, also ran. Natürlich ist klar, das sich da noch einige mehr bewerben, die mehr als ich zu bieten haben und vor allem ein besseres Foto als ich mit Schuppenflechte.
Trotzdem sind 10 Bewerbungen nicht das Problem, aus Langeweile werden es dann mehr als doppelt so viel. Ist das erledigt, hast noch viel Zeit im Netz rumzuhängen und da und dort rumzuschnüffeln. Klar, irgendwann hast die Portale durch und noch schneller die Stellen, die halbwegs infrage kommen. Entweder wird Qualifizierung verlangt, die ich nicht habe, oder die Angebote sich einfach Kacke, oder ohnehin veraltet, na das kenn ich ja schon aus dem Internetcafe, nur da geht es zumeist fixer.
Kost mich ja nix, nun da Web.de ab und an zickt, hol ich mir noch eine GMX Mail und kann eine alte Addi reaktivieren. Dann durchwühl ich das www noch nach funny pics und kann meine Mailgemeinde damit versorgen oder etwas nerven, sorry.
Sonst machen wir noch ne Menge Unfug, geht recht entspannt und lustig zu, in den Rechnerräumen sind wir uns selbst überlassen, was uns auch recht ist. Wir können uns schon beschäftigen. So lässt es sich hier doch recht gut aushalten. Zeitung online lesen etwa, na andere nutzen das Gerät um zu spielen und da sieht man am Surfverhalten doch ein sehr unterschiedliches Niveau. Webseite oder Blog hat außer mir offenbar niemand, aber auf Facebook sind sie fast alle. Wie man so sagt, jeder Penner ist heute auf Facebook.
Wie gesagt, fast, außer denen, die mit der Technik nicht vertraut sind. Auch sowas gibt es noch.
Nun zu den diversen Beschäftigungen. Zumeist Vormittags hören wir uns einiges Zeug unserer Dozenten an, eine davon ist Psychologin und bringt was von Steuergeldern von denen wir leben würden und arbeiten müssen wir alle. Das provoziert gleich einigen Unmut und heftige Debatten. Wir wissen, wer von wem lebt. Die leben doch davon, das wir hier sind und die Arge zahlt 60 € pro Tag und Nase. Da müssen wir uns echt nicht sowas bieten lassen und verrückt machen lassen wir uns auch nicht.
Einer von uns drohte sogar ne Beschwerde an. Klar, da hast junge Dinger vor dir, grad von der Uni, die wissen auch grad was Arbeit ist. Im Gegenzug hier Leute teils auch älter, die schon alles mögliche an Arbeiten gemacht haben oder ihre eigenen Erfahrungen mit Leiharbeit gemacht haben, bekommt man nette Storys zu hören. Jedenfalls haben wir mal die Verhältnisse klargestellt, die wollen uns doch hierbehalten, dafür zahlt schließlich die Arge, wir sichern doch deren Arbeitsplatz und nicht umgekehrt und da wir hier eh rumhängen müssen, ist es sinnvoller die Zeit stressfrei rumzukriegen. Genau so haben wir das dann auch gemacht. Zwischendurch mal Kaffee oder Raucherpause und etwas früher konnt mer auch gehen, vor allem wenn die Rechner gebraucht wurden. Da drinnen gab es noch Kurse oder Nachhilfe für Auszubildende oder sowas. Hatten wir ja nichts mit zu tun und wenn die den Raum brauchen, soll uns recht sein.
In dieser Zeit fiel auch der Streik im Nahverkehr, mit Fahrrad und S Bahn kam ich trotzdem, andere blieben weg, dafür mußten sie eben zwei Tage verlängern. An diesen Tagen lief es extrem entspannt. Da waren wir so sechs Leut die es hergeschafft hatten und beschäftigten und selbst am Rechner und mit zwanglosen Unfug.
Zumeist sitzen wir zu 15 - 20 im Raum und hören uns was an, was eh nicht neu ist oder füllen irgendwelche Arbeitsbögen aus. Die hab ich fix durch oder beantworte die Fragen etwas satirisch, ansonsten kann ich auf dem Papier rumkritzeln. Spontankunst, was einige sogar beeindruckt. Dabei könnten die das auch wenn sie wollten, offenbar beschränkt sich deren kreative Hobby auf die Handy bzw. Smartphoneapps. Das haben sie fast alle dabei, von mir mal abgesehen. Sind auch viele mit Migrationshintergrund hier, einige haben s mit Deutsch nicht so dicke, aber das neuste Handymodell, damit kennen sie sich aus und einige nerven sogar mit der Religion. Zum Glück sind die schon länger hier und auch beizeiten wieder weg. Besser so, sowas hat uns hier noch gefehlt.
Tia, wenn man grad nix zu tun hat, oder nur mit halben Ohr zuhört, weil einen das Zeug echt unterfordert, dann ist es sinnvoll, wenn man sich mit Stift und Papier beschäftigen kann. Sonst zieht sich so ein Tag auch gelegentlich wie Gummi. Daran gewöhnt man sich aber, zudem bin ich geübt darin, oft nichts zu tun und einfach die Zeit verstreichen zu lassen. Sowas sollte man echt mal lernen, kann gelegentlich nützlich sein, hier etwa.
Jedenfalls ist das meiste davon reine Beschäftigungstherapie, nur unsere Betreuer müssen halt ihr Programm durchziehen, egal wozu es gut sein soll.
Was ist beim Bewerbungsfoto zu beachten? Die gutgemeinten Tips kennt jeder der von der Arge in diversen Kursen gesteckt wird. Als wenn es am Foto liegen würde und man meint da fast, man würde sich für eine Modellagentur bewerben. Damit können vor allem ältere Semester nicht mithalten,mit 50 kann man eben nur auf alte Passfotos zurückgreifen, auf denen man zwar noch besser aussah, doch das fällt dann doch auf.
Bekleidungsberatung gab es auch mal, das war alles sehr gut gemeint, zeigt dafür anschaulich wie wenig es anwendbar ist. Was zieht man beim Vorstellungsgesppräch an? Was das Hauptproblem ignoriert, das man für neue Kleidung wenig Geld übrig hat und sich erst was holt, wenn die alte auseinanderfällt. Schon dahingehend praxisfern, weil es bei Zeitarbeitsfirmen eh egal ist, wie man aussieht. Die sehen dich ja nach der Einstellung nicht mehr.
Die Arbeitsbögen scheinen ohnehin das Produkt aus der Beschäftigungsanstalt für Soziologiestudenten oder Arbeitsberater zu sein, die irgendwas vorweisen müssen was nach sinnvoller Hilfe für Arbeitslose aussieht, eben nur aussieht. Nun jeder Betroffene kennt diese Sorte von Papier, von dem sich einiges ansammelt was nach Maßnahmenende zumeist in der Tonne landet. Was soll man auch mit anfangen? Da stehen so Fragen drin, wie sähe ihr idealer Arbeitsplatz aus? Als wenn man sich das aussuchen könnte. Na so wie hier, Surfen und für bezahlt werden, nur etwas besser.
Dann gehts es auch mal um allgemeinpolitische Fragen, einmal sogar mit aktuellen Bezug auf die M 31 Demo. Da wirds lustig als die Frau in die Runde fragt, wer war Samstags auf der Zeil. Ich war nicht auf der Zeil, höhö. Ne du warst da wo die Antifa war. Dann gab s ne Debatte auf Bildniveau um die Scheiben vom Friseurladen, was der denn dafür kann. Na das sich ausgerechnet Hartz IVer darüber Gedanken machen? Woher die das hernehmen? Natürlich aus Glotze und Bild. Einer von uns war sogar auch auf der Demo dabeigewesen, war also nicht der einzige Bekloppte, dafür nicht bekloppt genug, hier ne Verteidigungsansprache anzufangen. Belasse es also auf satirischen Niveau. Warum Leute verteidigen, mit denen ich nichts zu tun habe, die ich nicht kenne und die mich ohnehin nicht mögen. Den Fehler mach ich auch nicht mehr, nicht das ich was gegen Randale hätte, war ja vor Ort gewesen und hab dann Pics und Bericht abgeliefert, reicht doch. Bin schließlich nicht hier um zu agitieren und unsere Islamprediger sind zum Glück schon woanders.
Trotzdem Interessant zu sehen, wie Bild das Denken bestimmt oder ist Bild einfach nur der Ausdruck von dem was die Mehrheit eh denkt? Jedenfalls gab es solche Diskussionen schon vor 20 oder 30 Jahren in dieser Form, da hat sich offenbar wenig verändert, soll dafür nicht mein Problem sein. An der Debatte beteiligten sich ohnehin nur wenige von uns aber immerhin mal mit Interesse. War mal ne Abwechslung.
Zudem ne Erfahrung, die zwar für mich nichts brachte, was ich nicht schon gewußt hätte, doch es ist interessant, das wieder mal live zu erleben. In den Runden am Rechner, wo wir unter uns waren, gings schonmal rüde zu. Klar macht man auch Witze und hat gern etwas Erheiterung. Szenelinke würden da n Anfall bekommen, das soll deren Problem sein. Hier bist eben in der realen Welt und die lässt sich eben nicht einfach aussperren oder zensieren wie auf linken Portalen.
Und genau sowas wünsche ich dann den Linken die im Netz so tun als hätten sie auf alles die richtige Lösung, aber nur unter sich bleiben und sich gar nicht erst der normalen Welt aussetzen. Da würden sie mal erleben, das ihre Insiderideologie unter den Stichworten Rassismus, Patriarchat, Sexismus, MigranntInnen, Spezizimus und was noch alles, nicht mal Thema ist, geschweige das sich die Mehrheitbevölkerung dafür auch nur die Bohne interessiert. Wer sich in seiner kleinen Insiderwelt eingerichtet hat, der glaubt, die Insiderdebatten seien die wichtigsten Fragen der Menschheit.
Abschließend betrachtet.
Was hat s gebracht? Nicht viel und natürlich keine Einstellung, nicht mal ein Vorstellungsgespräch, war auch nicht zu erwarten. Dafür konnt ich surfen bis zum Anschlag und nebenher meinen Blog vollhauen. Nur meine Gewohnheiten mußte ich etwas umstellen, früh aufstehen und beizeiten in die Falle. Damit hab ich es eben nicht so, habs trotzdem hinbekommen. Jedenfalls die sechs Wochen recht gut überstanden und nun hab ich was zu schreiben.
PS: Dieser Text wurde auf Indymedia zensiert. Warum? Kann ich nur vermuten, man erfährt es ja nicht. Vermutlich zuviel unbequeme Wahrheiten.