In diesem Bunker ist die Zeit stehengeblieben. Hier finden sich als Graffitinachlass die Namen längst vergessener Bands aus den 80gern bis ca 90 plus. |
Über Graffiti Beim Besuch eines Bunkers finde ich die Hinterlassenschaft der Bands die hier mal geprobt haben als Graffiti an den Wänden. Es ist wie eine Zeitreise, oder ein modernes Altamira. In dem Bunker hat sich jeder Strich erhalten als wäre es Gestern gesprüht worden. Anders als Outdoor verwittert die Farbe hier nicht. Dabei ist es noch nicht lange her, das Zeug stammt aus den 80ger Jahren und das war doch meine Zeit. Die Graffitiform ist von Interesse, hier kann man original sehen, was sich verändert hat. Und das in nur wenigen Jahren. Graffiti in einfacher Ausführung, allenfalls einige Bandnamen mit Schablone gesprüht. Gesprüht wurde so wie es die Dose hergab, also zerfasert und so das man es noch lesen konnte. Weitere Ansprüche bestanden nicht, ganz zu schweigen davon, es als Kunst zu bezeichnen. Es war eine Zeitreise in die Zeit Frankfurts als noch niemand was mit Begriffen wie Tag oder Piece anfangen konnte. Zu der Zeit fing es wohl gerade in Amsterdam an und es dauerte noch einige Jahre bis es sich ausbreitete, es gab eben noch kein Internet. How much have changed. Writing war erstmal eine feine Sache. Als es neu war. Es war bedrohlich, vor allem die Tags. Niemand konnte damit was anfangen, es passte in kein Raster, man konnte es weder lesen noch verstand der Normalverbraucher was das sollte und was man nicht kennt, erzeugt Angst. Man kennt es, zumindest wer die Anfänge miterlebt hat. Man sah sich um, fotografierte und traf dabei sogar auf Writer. Nach und nach erfuhr man was über den Hintergrund und lernte nicht nur lesen und schreiben, man bekam auch viele Insiderinfos. Man hatte dem Rest der Welt was voraus. Man kannte die Leute, wußte was die Crewkürzel zu bedeuten hatten und konnte lesen, wer hier rumgetobt hatte. Einen kurzen Moment hatte man sogar denen die vom Bescheidwissen leben was voraus. Nicht mal die Pressemenschen hatten einen Plan, was da ablief. Der gut recherchierenden FAZ fiel in ihrer Not nichts besseres ein, als bei der Bahnpolizei nachzufragen. Long ago. Dann gab es die ersten Veröffentlichungen und Bücher, nun konnte jeder nachlesen, was da so vor sich ging. Nicht jeder Writer sah dies mit Freude. Einige waren der Ansicht, das diese Infos Außenstehende nichts angehen, aber was willst machen? Das war eines der Kennzeichen, man wirbt nicht dafür, niemand wird aufgefordert mitzumachen und man will gar nicht erst verstanden werden. Zunächst war es eine Insiderwelt, die sogar die radikale Linke alt aussehen ließ, denn nicht mal diejenigen, die sich für den gestaltgewordenen gesellschaftlichen Fortschritt hielten, verstanden was sich statt den gewohnten A im Kreis, RAF und Keine Startbahn West, plötzlich an den Wänden breitmachte. Was sich mittlerweile geändert hat, Writing ist mittlerweile auch in der linken Szene angekommen und wird teilweise für die Agitation benutzt. Hat auch lange genug gedauert, in diesem Bereich war die Linke mehr als konservativ. Why? Na klar, wenn man sich selbst für die wandelnde Jugendbewegung hält (es dauerte lange, bis die Grünen eine Jugendorganisation einrichteten, glaubten lange, keine zu brauchen. Bis sie merkten, sie sind in die Jahre gekommen und was soll ein Jugendlicher bei allem Interesse unter 30jährigen aufwärts), vor allem die autonome und radikale Linke hielt sich für die institionalisierte Jugendbewegung und konservierte ihre Kultur von AnarchoA über unlesbaren Bleiwüsten der Interim bis zum Antipat und begriff nicht, das nicht nur sie alterte, auch ihre Kultur veraltete. Nun nicht ganz, mittlerweile ist auch die linke Kultur der 80ger im Netz konserviert, gleich neben der Kultur der ML Sekten. Passt doch. Das ist aber nichts verglichen mit einer Zeitreise im Bunker, live und in stereo. Man meint nach so einen Besuch , man kommt grad von der letzten Starbahndemo. Es kam wie es kommen mußte, Neue Generationen suchten nach irgendwas das die Leere zwischen Schule und Pause bis zur Ausbildung/ Uni ausfüllt. Sie hatten auf einmal zu viel Zeit und genau da entstand die Idee zu sprühen. Das kennt man, diese Übergangszeit ist genau der Punkt wo man meint, jetzt stehen viele Möglichkeiten offen, man kann frei wählen wie es weiter gehen soll. In dieser Situation entstehen viele Pläne, Luftschlösser und auch ne Menge Unfug, es ist genau der richtige Zeitpunkt dafür. Genau so kamen viele der ersten Generation zu Edding und Dose. Doch zurück zum Thema Graffiti. Zunächst über Bücher wie den Graffitilexikas bis hin zu Bildbänden wurde die Info gesammelt und ist heute frisch und unverbraucht auf Wikipedia zu lesen, einschließlich der Writersprache. Mittlerweile ist Writing Thema in diversen Filmen, in denen es gar nicht darum geht, doch wenn eine Szene in einer Autobahnunterführung spielt, dann sind auch Pieces an den Wänden. Geht es um Jugendliche und darum, deren Umfeld darzustellen, dann finden sich auch Tags, Outlines und Throw Ups im eigenen Zimmer, so etwa in dem Film Stick it von 2006. Nun könnte man meinen, wenn das Thema Writing durch Medien und Internet derart verbreitet ist und zum Mainstream geworden ist, dann ist es ja wohl abgehakt und es wird Zeit sich ein neues Hobby zu suchen. Zumal für die ehemals Beteiligten die Insidersprache, das Zeug aus der Hip Hop Szene und der Rest einigermaßen bedeutungslos geworden ist. Man ist in die Jahre gekommen. Und wie es kommen muß, es ist Bestandteil der Jugendkultur mit Jams, Rap und legalen Wandpiece im Juz oder bei Veranstaltungen, gefördert von Stadt und Wirtschaft. Wollen mal nicht meckern, alles hat ein Ende. Von wegen, wann das Spiel vorbei ist, bestimmen zum Glück nicht die Medien und es gibt immer noch zwei Welten. Die Medienwelt, in der Graffiti ein Teil von Inszenierung und Jugendkultur darstellt und die Welt auf den nächtlichen Straßen. Da hat sich nichts verändert, man sollte sich nach wie vor nicht erwischen lassen. Zum Thema Jugendkultur, die Jugendlichen sind längst erwachsen, im Ausgangsland USA nicht nur das, sondern bereits alte Säcke. Graffiti ist erwachsen geworden wie es heißt. Sieht die Öffentlichkeit nicht so und so werden Writer mittlerweile zum Opfer ihres eigenen Mythos. Writing ist als Kunst nicht weiter ernstzunehmen, auch wenn sie es gelegentlich in die Kunsthandlung schafft. Aber warum wollen wir überhaupt ernstgenommen werden? Wegen der Kohle? Sicher ein Argument, kann aber kaum das Hauptgrund sein, auch Comics wurden lange nicht für voll genommen, abgesehen von Frankreich und Belgien. Na geht doch, zumindest dort, ohne das man die Portale der Museen stürmen müßte. Und wessen Leinwand die Straße ist, der muß sich nicht im Kunstmarkt wie sauer Bier anbieten. Mythos Graffiti Pfeif auf Regeln, mach was du für richtig hältst, was im www über Writerkultur steht, sind Richtlinien, mehr nicht. Das sagt sich so leicht, für Neueinsteiger haben sie oft die Funktion von Gesetzen und Dogmen. Man will ja irgenwie nen Zugang finden. Und traut sich nicht eigene Ideen auszuprobieren, auch Schiss nicht anerkannt zu werden. Anerkennung von wem? Die Writer der ersten Stunde haben nicht mehr viel damit zu tun und diejenigen, die damit Geld verdienen, sind anderweitig beschäftigt, als Newcomer auch nur zur Kenntniss zu nehmen oder sich drum zu kümmern, ob das Z die richtige Ausführung hat. Zumal sie mit diesen nervigen Kids eh nichts mehr anfangen können, soll heißen, was willst du Pfeife? Bin ich dein Sozialarsch? Was leicht übersehen wird, in dieser Insiderwelt sind Regeln einfach aus der Situation heraus entstanden, das man ja nichts einklagen kann und das unter sich regeln muß. Das wurde dann 1:1 aus New York übernommen und ohne Rücksicht übertragen, selbst wenn die Startbedingungen völlig unterschiedlich waren. Man sieht es an der Bahn. In NY ging das, denn die U Bahn war alt und die Stadt wollte kein Geld mehr reinstecken, daher konnte sich so locker Tag un Piece innen und außen breitmachen. In Berlin und Frankfurt sah das anders aus, trotzdem wurde mit Manie gesprüht, wenn das Teil einen Tag fährt, das reicht schon für ein Foto. Ein weiterer Fall ist das Bomben mit der Farbrolle. In NY wurden die Dosen verboten, also griffen die Jugendlichen zu Farbeimer und Farbrolle, womit man früher allenfalls eine Wand grundiert hatte. In Berlin wurden nun munter die Letter mit der Rolle gemalt, was einen grundlosen ästhetischen Absturz gleichkam, denn in Berlin waren Dosen nach wie vor verfügbar. Und es ging schnell, denn man mußte nicht erst auf Zeitungstexte warten, übers Netz geht sowas fix um die Welt. Das ist der Unterschied, Insiderwelten blieben es lange, bis die langsamen und verständnislosen Printmedien es freundlicherweise zur Kenntniss nahmen und es gelegentlich als Kurioses abhandelten. Hat ja nichts mit ernsthafter Politik zu tun. Über s Netz verbreiten sich Insiderwelten oft in Echtzeit und so ist die Story mit der Farbrolle zu werten. Was aus der Szene selbst zu hören ist, mittlerweile bekommst doch alles schon vorgelebt, ist die Welt in die man neu einsteigt noch authentisch oder längst ihr eigenes Medienkonstukt geworden? Die Frage lässt sich dahingehend beantworten, ob es mehr ist, als Mode und Konsum. Mode ist, sich den beworbenen Scheiß kaufen und nun gehört man dazu. Mehr braucht es nicht und man riskiert nichts. Bei Graff reicht es eben nicht ne Montana mit sich rumzuschleppen, man muß sie auch verfeuern und man sieht, was man draußen getrieben hat. Es gehört eben noch etwas Eigeninitiative und kreative Arbeit dazu. Die Tagschrift muß schon in den Fingern sitzen, an der Line kannst dir keine Graffitifonts runterladen. Das es in dieser Welt keineswegs frei und umbekümmert zugeht, hat sich mittlerweile rumgesprochen, ebenso das es zur Sucht werden kann. Wie beim Junkie müssen immer riskantere Orte den Kick liefern weil einfach an ne Betonwand zu sprühen zu alltäglich geworden ist. Ist auch Thema eines Films über Graffiti, den die Bahn als Negativwerbung unter Berufung auf ihr Hausrecht verbieten wollte. Im Netz ist er frei einsehbar, immerhin ein Film, der auch problematische Bereiche anspricht. Trotzdem, das Spielchen geht weiter. Warum? Weil die Grundidee nicht mehr aus der Welt zu schaffen ist. So konnte man es auch auf gebufften Trains lesen. You cant buff the idee. Es kommen neue Leute und es gibt neue Formen. Streetart entstand ja aus dem Writing, nur den Begriff gab es nicht. Sein Tag auf Sticker schreiben und an die Wand damit. So fing es an. Es war ein anderes Trägermedium, Papier eben. Die Sticker farbig zu gestalten und am Ende mit Character zu versehen, damit war Streetart geschaffen, nur nannte es niemand so, zumal die Inhalte nach wie vor dem Writing folgten. Mittlerweile verbreiten sich Infos über das Internet mit einer Geschwindigkeit, die es damals nicht gab. Es dauerte 14 Jahre, bis Writing aus NY Amsterdam erreichte und ca 18 Jahre, bis es nach Frankfurt kam. Streetart verbreitete sich über das www dagegen viel schneller und auch der Begriff. Freilich auch der Irrtum, es würde sich um getrennte Graffitiformen oder unterschiedliche Leute handeln. Tatsächlich waren die Übergänge fließend. Kann man in Netzzeiten noch was für sich behalten? Ist nicht schon alles über eine Graffitiform durch bevor es richtig angefangen hat? Netterweise gibt es online Seiten, auf denen man Graffiti lernen kann. Das mußt ja mal kommen, man bekommt bereits die fertige Letterform geliefert. Es wird nicht einfach, einen eigenen Style zu entwickeln. Oder dem was entgegenzusetzen. Versuche gibt es. Gegen die Vereinnahmung als Kunst das mit Absicht hingerotzt sprühen, oder die Marker mit Farbe füllen, das die Drips der Schwerkraft folgen. Zeitweilig wird hier zum eigenen Ausdruck, was früher in der Szene nur Spott und Hohn eingebracht hätte. Das legt sich beizeiten, spätestens wenn man erkannt hat, das in Netzzeiten die traditionellen Medien viel von ihrer alten Macht abgeben mußten und man ja nicht nur die Wände zur Verfügung hat, sondern auch gleich das eigene Medium zur Dokumentation. Es gibt immer noch zwei Welten. Auf der Straße hast keinen Anschluß, du hast weder Fonts noch Drucker, du hast nur Stift, Dose und deine Finger genau wie 1988, als man auch nicht mehr zur Verfügung hatte und noch mit Film ablichtete. Wer im öffentlichen Raum arbeitet, greift eben immer noch auf alte Techniken wie Papier, Lackstift, Bleistift oder Edding zurück. Graffiti ist retro, trotz Rechner und Graphikprogramm. Und alles muß man nicht sofort rausrücken. Man kann immer noch Graffitigeschichte schreiben, auch wenn es keiner merkt. Saul 2012 |